Temporäre Spielstraßen in den USA

Auch in den USA gibt es in einigen Städten temporäre Spielstraßen. Einige von Ihnen sollen hier exemplarisch dargestellt werden.

Seattle

In Seattle hat das „Seattle Department of Transportation (SDoT)“ 2014 ein Temporäre Spielstraßen-Pilotprojekt gestartet. Dieses ist Teil des „Public Space Management Program“ und soll den Anwohnern ermöglichen, einen sonst eher unzugänglichen Teil des öffentlichen Raumes, die Straße, zu nutzen. Die Stadt macht es den Anwohnern dabei besonders einfach: Es gibt nur wenige Bedingungen und Auflagen. So darf die Straße zum Beispiel keine „arterial road“ (vergleichbar mit einer Hauptstraße) sein oder an einer Bus-Route liegen. Ob dies der Fall ist, können Anwohner mit einem einfachen Klick auf eine spezielle Karte herausfinden.  Mobile Schilder können einfach kostenlos bei der Stadt ausgeliehen werden und Straßensperren können ebenfalls entweder geliehen werden, oder es werden einfach Haushaltsgegenstände (große Mülltonnen etc.) verwendet, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Zudem muss ein Formular ausgefüllt werden. Für die Organisatoren ist das Ganze mit keinerlei Kosten verbunden und die Sperrung kann von einmal im Jahr bis zu maximal drei Mal pro Woche stattfinden. Die aktuellen temporären Spielstraßen werden übersichtlich und mit den Sperrzeiten auf einer Karte abgebildet, welche Stand Heute (06.06.2018) über 50 temporäre Spielstraßen aufweist. Über das selbe Formular können Anwohner übrigens auch „Bloc Partys“, also Straßen-Partys an ihrem Wohnblock, beantragen.

Auch in Seattle wird der Verkehr, ähnlich wie z.B. in Bristol in England, nicht komplett gesperrt, sondern Autos dürfen unter Anleitung einer Aufsichtsperson, welche die Barrikaden beiseite räumt und für eine sichere Durchfahrt sorgt, in Schrittgeschwindigkeit die Straße durchqueren.

Ergänzend zu den temporären Spielstraßen gibt es noch eine weitere Möglichkeit, die Straße in Besitz zu nehmen:
„Night Out Seattle“: Dieses von der Polizei Seattle organisierte, einmal im Jahr stattfindende, Event, soll die Aufmerksamkeit für Kriminalitätsprävention erhöhen und den nachbarschaftlichen Zusammenhalt (auch in Fragen der Kriminalitätsprävention) stärken. Straßen können sich hierfür ebenfalls registrieren und können dann am Abend die Straße für den Verkehr sperren und ein Straßenfest mit z.B. Live-Musik veranstalten, welches von der Polizei begleitet wird.

Organisatoren können zudem für spezielle Events oder innovative Maßnahmen Geld beim „neighborhood-matching-fund“ des Seattle Department of Neighborhoods (!) beantragen.

Chicago

Auch in Chicago sind die temporären Spielstraßen in einem Gesundheitsprogramm der Stadtbehörde, dem Chicago Department of Public Health, integriert und werden von dieser gefördert. Unterstützt werden die Bürger hierbei auch vom Chicago Department of Transportation, welches die kostenlosen Anträge bearbeitet und „community organizer“ abstellen. Die Voraussetzungen sind ähnlich wie in Seattle, das Formular ist gerade mal eine Seite lang und wirklich einfach auszufüllen.

Die temporären Spielstraßen sind auch in Chicago eingebettet in ein übergeordnetes Programm, dem Healthy Chicago 2.0.
Ein Ziel dieses Programms ist es, Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung zu bekämpfen. Teil dieser Strategie sind die temporären Spielstraßen. Daher werden temporäre Spielstraßen in benachteiligten Nachbarschaften logistisch, technisch und finanziell gefördert. Außerdem lädt das Chicago Department of Health andere Organisationen und städtische Träger, die sich mit der Gesundheit und Fitness von Kindern beschäftigen, ein, in den temporären Spielstraßen Aktionen und Aufklärung zur Gesundheit anzubieten.

New York

In New York gibt es, nach meiner bisherigen Erkenntnis, bereits am längsten temporäre Sperrungen für Straßenspiel. Bereits 1914 wurde hier, organisiert und durchgeführt von der New Yorker Polizei, ein Straßenabschnitt gesperrt. Die Idee zündete und bereits im gleichen Jahr kamen 29 Straßenabschnitte hinzu. Teilweise wurden die Straßen jeden Nachmittag, außer Sonntags, gesperrt! Schon damals war der Hintergedanke, dass Kindern, die keinen Zugang zu Parks und Freiflächen haben, das freie Spielen ermöglicht werden sollte. Zudem sollte die Beziehung zwischen Bewohnern und Polizei in Vierteln mit hoher Kriminalitätsrate verbessert werden.

Begleitet und organisiert werden viele play streets damals wie heute von der PAL, der Police Athletic League, einer von der Polizei gegründeten, unabhängigen, wohltätigen Einrichtung. Die „summer play streets„, wie sie auch heißen, dürfen vom 1. Juli bis zum 31. August maximal fünf mal pro Woche, nur Werktags, von 8:00 Uhr – 17.00 Uhr stattfinden und müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Zusätzlich gibt es, ähnlich wie in London, auch school play streets, die nur einmal registriert werden müssen.

Allerdings nimmt die Anzahl an play streets in New York gerade ab. Waren es 2005 noch etwa 150 play streets, waren es 2017 gerade mal nur noch 15! (Der Link führt zu einem sehr lesenswerten Artikel der NY-Times mit tollen Bildern!) Grund sind fehlende finanzielle Mittel der Stadt und eine Veränderung der Priorisierung für die Förderung. So will die Stadt vermehrt in „aktive“ Programme investieren statt in „passive“. Zu den aktiven Programmen zählt die Stadt zum Beispiel das Programm „Kids in Motion„, bei dem ein Anleiter verschiedene, nicht-kompetetive, Sport- und Bewegungsangebote im öffentlichen Raum anbietet. Allerdings finden diese wiederrum in Parks und auf öffentlichen Spielplätzen statt, womit wieder genau die Kinder ausgeschlossen werden, die durch die temporären Spielstraßen erst erreicht werden sollten.

Fazit

Auch in den USA gibt es tolle Beispiele für temporäre Spielstraßen. Es zeigt sich, wie auch in England, dass eine Einbindung in behördliche Strukturen und übergeordnete Programme, wie z.B. in Seattle, förderlich sein kann. Eine behördliche Finanzierung kann aber auch Risiken bergen, wie das Beispiel New York zeigt. Als es in New York noch über 100 temporäre Spielstraßen gab, waren diese alle privat finanziert. Die Stadt übernahm irgendwann die Finanzierung, aber im Laufe der Zeit (und vermutlich durch personelle Wechsel in Politik und Behörden), wurde die Finanzierung und damit die Anzahl der Straßen verringert. Einige wenige privat finanzierte und organisierte Straßen gibt es noch, aber auch diesen fällt es auf Dauer schwer, ihren Fortbestand zu sichern.

Exemplarisch für die USA ist auch die Einbindung der Polizei in die temporären Spielstraßen. Hier werden, oder wurden, die play streets auch als Möglichkeit gesehen, die Beziehung zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu verbessern und in Vierteln mit hoher Kriminalität Gewaltprävention zu betreiben. Gerade in (wiederkehrenden?) Zeiten der Polizeigewalt gegenüber der afro-amerikanischen Bevölkerung ein eigentlich lohnendes Vorhaben.